11.04.2010, 01:41
(11.04.2010, 00:14)Exitus schrieb: Woyzeck ... tja, Woyzeck. Ich glaube, ich habe das Buch (eher die Idee, Georg Büchner hat Woyzeck nicht beendet) nicht verstanden, weil angeblich eine Gesellschaftskritik gezeigt wird und ich aber nur eine Beschreibung eines dramatischen Schicksals erkenne. Bin ich nur zu doof? Vielleicht kann mir ja jemand auf die Sprünge helfen ...
Ich verstand den gesellschaftskritischen Aspekt folgendermaßen:
Woyzeck ist ein sehr genügsamer Mensch. Er erwartete nicht viel von seiner Umwelt. Diese versuchte aber in keinster Weise, ihm mit seinen Problemen zu helfen, sondern nutzten seine Schwäche aus. Ebenso funktioniert die ganze Gesellschaft - Freundschaft und Unterstützung schenkt man nur Personen, von denen man glaubt, dafür später etwas zu bekommen. Woyzeck, der bereits an den Grenzen seiner Belastbarkeit ist, gibt der Gesellschaft so viel, wie nur möglich. Somit wissen alle, dass sie auch mit Freundlichkeit ihm gegenüber nicht noch mehr von ihm bekommen könnten. Marie sieht in ihm lediglich einen bescheidenen Geldesel; sie hat zwar kurz Schuldgefühle, doch diese können sich nicht durchsetzen, weil sie weiß, dass Woyzeck nichts tun kann, damit sie ihn (mehr) liebt.
Der Tambourmajor, der Hauptmann und die anderen Soldaten benutzen ihn als Projektionsfläche für ihre Aggressionen, da sie von ihm nichts zu befürchten haben.
All das spielt mMn auf die Scheinheiligkeit und Doppelmoral der Gesellschaft an. Es heißt immer, alle Menschen seien gleichwertig, doch in Wahrheit schert sich niemand um die, aus denen nichts mehr zu holen ist. Moral ist daher in der Gesellschaft immer nur Mittel zu persönlichen Zielen, aber nicht das, was es eigentlich sein sollte - Selbstzweck.
Ich denke, Woyzecks Ausbruch ist auch so zu verstehen, dass er die Ausnutzung endlich begriffen hatte. Natürlich war er gleichzeitig schizophren und wahnsinnig, aber ich glaube nicht, dass Büchner lediglich ein trauriges Schicksal darstellen wollte. Die schlussendliche Sicherheit über Maries Untreue - und damit der Verlust seiner letzten Verbindung zur menschlichen Außenwelt - machte ihm klar, dass die Welt grundsätzlich schlecht ist. Er fügte sich dieser Tatsache, indem er - wie bereits zuvor alle anderen - sich an der rächte, an der er sich rächen konnte.